Verhütung und Familienplanung per Handy – das könnte so schön einfach sein. Die Frau notiert sich die Menstruationstage in der App oder trägt sogar nur ein Wearable, das seine Daten automatisch auf das Handy überträgt, und das Smartphone errechnet die Tage, an denen sie unbedingt oder auf keinen Fall Sex haben sollte – je nachdem, ob sie ein Kind will oder nicht. Viele Apps versprechen das Blaue vom Himmel, aber sind die Aussagen überhaupt fundiert?
Niedergelassene Gynäkologen schätzen in puncto Verhütung das Wissen ihrer Patientinnen höher und das Infobedürfnis niedriger ein, als es tatsächlich ist. Das ergibt der anlässlich des Weltverhütungstages im August veröffentlichte Report TANCO (Think About Needs in Contraception). Trotz “Dr. Google” kenne jede nur durchschnittlich sechs von 15 gängigen Verhütungsmethoden. Der Leipziger Reproduktionsmediziner und Gynäkologe Prof. Henry Alexander hat den OvulaRing entwickelt. Ein zugelassenes Medizinprodukt, das den Zyklus zuverlässig aufzeichnet und vornehmlich bei unerfülltem Kinderwunsch eingesetzt wird, er ist aber auch durchaus was für Frauen, die hormonfrei verhüten wollen. Er beobachtet den Markt der Zyklustracker ganz genau. Wir haben mit ihm gesprochen.
Prof. Alexander, was halten Sie von den neuen Zyklus-Apps und -Trackern?
Es ist schön, dass das Thema Zyklus mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt ist, aber als Konkurrenz sehen wir diese nicht an. Sie sind einfach nicht solide und zuverlässig. Wenn überhaupt, sind die meisten Apps, Tracker und Computer nur für Frauen mit einem sogenannten Standard-Zyklus geeignet. Das steht auch häufig im Kleingedruckten: Nur für Frauen mit einer Zykluslänge unter 35 Tagen.
Sind Menstruation und Zyklus Lifestyle-Themen geworden?
Frauen sprechen inzwischen offener über ihre Menstruation, auch in den Medien, das ist natürlich sehr zu begrüßen. Warum sollte das auch ein Tabu-Thema sein? Aber der Zyklus an sich ist immer noch ein großes Mysterium und in der Forschung müssen wir noch viel mehr dafür tun, um genauere Erkenntnisse liefern zu können.
Viele Wearables messen Körperfunktionen wie Schlafqualität und Durchblutung – wird der Zyklus davon auch beeinflusst?
Das sind natürlich alles sehr interessante Daten für Leute, die ihre Gesundheit allgemein im Blick behalten wollen. Aber den Eisprung können Frauen anhand dieser Kategorien nicht bestimmen. Vielleicht können sie individuell feststellen, ob sie während der Menstruation schlechter schlafen oder Ähnliches. Tatsächlich gibt es allerdings Studien, die eine Korrelation zwischen Ruhepuls und Eisprung herstellen, allerdings ist die Körperkerntemperatur nach unserer Ansicht der weit zuverlässigere Indikator.
Haben Sie eigentlich mit dem OvulaRing sogenannte Copy-Cats auf den Plan gerufen?
Es gibt inzwischen einige Varianten, die OvulaRing sehr ähnlich sind. Unser erstes Patent haben wir ja schon 1999 angemeldet und manchmal habe ich das Gefühl, dass wir einen Boom der Nachahmer ausgelöst haben, die nach dem gleichen Prinzip vorgehen wollen, aber unsere Patente umgehen müssen. Es gibt zum Beispiel Wearables, die am Handgelenk getragen werden und nur in der Nacht messen. Und auch nur auf der Haut. Unsere Hauttemperatur z. B. unterscheidet sich aber sehr von der Körperkerntemperatur, die allein Aussagen zum Eisprung machen kann. Es geht hier schließlich um Schwankungen von 0,25-0,5 Grad. Da ist die Messung der Hauttemperatur viel zu ungenau.
Und warum reicht es denn zum Beispiel nicht, nur in der Nacht zu tracken? Es sind doch trotzdem sehr viele Messpunkte.
Die Körpertemperatur hängt von sehr vielen Faktoren ab, wir brauchen hier so viele Messpunkte wie möglich und das rund um die Uhr, um Temperaturmuster eindeutig bestimmen zu können. Darum reicht die Nacht schlicht nicht aus, um verlässliche Daten zu liefern. Zudem kann es bei unserem unregelmäßigen Lebensstil passieren, dass Frauen öfter mal den Tracker vergessen.
Sie meinen den Faktor Mensch als Risiko? Aber was, wenn man doch alles richtig macht? Die Pille ist – regelmäßig eingenommen – ja auch sehr sicher.
Vor allem Mädchen und junge Frauen vertrauen viel zu sehr auf ihr Handy und wissen viel zu wenig. Die meisten Zyklusapps errechnen den Zeitpunkt des Eisprungs, indem sie von einem Normalzyklus von 28 Tagen mit Eisprung am 14. Tag ausgehen. Sie errechnen anhand der letzten Zykluslängen den wahrscheinlichen Termin für die nächste Monatsblutung und rechnen dann 14 Tage zurück. 70 % aller Frauen aber folgen diesem Zyklusmuster nicht. Es ist ein reines Ratespiel. Ich fände es sogar gut, wenn Schulen im Aufklärungsunterricht diese Themen behandeln würden. Wenn Schüler früher gelernt haben, Kondome über Bananen zu ziehen, gehört heute auch digitale Aufklärung dazu.
Was ist denn eigentlich mit dem alten Klassiker: Eisprung am Urin feststellen?
Genau, das geht mit Hormoncomputern. Sie messen die Konzentration des luteinisierenden Hormons (LH) im Blut, das die Ovulation und die Gelbkörperbildung bei Frauen fördert. Wenn die Konzentration ansteigt, soll die Frau kurz vor dem Eisprung stehen. Studien belegen aber, dass es im Verlauf eines einzigen Zyklus mehrere Spitzenwerte oder Plateau-Phasen geben kann, zudem lag im Durchschnitt das LH-Hoch ein oder zwei Tage nach dem Eisprung. Solche Daten sind dann leider eher wertlos, und vor allem für lange oder unregelmäßige Zyklen nicht geeignet.
Wie steht es denn nach Ihrer Meinung um die Zukunft des weiblichen Zyklus?
(Lacht) – Den wird es auch in 1.000 Jahren noch geben. Aber er wird besser erforscht sein. Die ganzen Zyklus-Apps und Tracker sind auf jeden Fall dazu gut, den Zyklus in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Die Forscher werden diesem Trend folgen und ein veritabler Zyklusscanner sollte früher oder später Standard in der Diagnostik werden. Die Körperkerntemperatur als Marker für die Bestimmung des Eisprungs wird sich durchsetzen. Es ist einfach eine sehr valide Methode. Die Sensoren dafür werden immer kleiner und besser werden. Wir haben gerade eine Echtzeiterkennung gelauncht, die die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, tagesaktuell anzeigt. Die Methode basiert auf einer speziell entwickelten Mustererkennung. Grundlage hierfür sind medizinische Algorithmen.
Zudem plant OvulaRing eine Funkvariante, und in Zukunft werden die OvulaRing-Daten wohl direkt in Kalenderfunktionen auf dem Handy zu integrierbar sein. Wir arbeiten schon lange an einer Krankenkassenzulassung, aber die Mühlen mahlen langsam. Einer meiner Träume ist es, dass keine Frau sich einer hormonellen und sehr belastenden Kinderwunschbehandlung unterziehen sollte, bevor sie nicht sechs Monate ihren Zyklus mit OvulaRing getrackt hat. Denn dann könnten sich viele Frauen diese sehr aufwendige IVF-Behandlung sparen. Wir bleiben jedenfalls nicht stehen, aber die Konkurrenz wird das auch nicht tun.